Die Schule des Lokführers 1899

 

Aus

Brosius und Koch`s

 

Die Schule des Lokomotivführers

 

Der Fahrdienst

Wiesbaden 1899

 

Einleitung

 

Die gute Kenntnis der Lokomotive und deren einzelner Teile ist, neben den Eigenschaften eines gut durchgelernten Schlossers, Vorbedingung dazu, ein tüchtiger Lokomotivführer werden zu können, wobei eine genügende geistige und körperliche Gesundheit vorausgesetzt wird.

Bevor der dem Stande des Lokomotivführers sich widmende Schlosser Lokomotivführer wird, muß er bekanntlich eine kürzere oder längere Zeit Lokomotivführerlehrling, auch Heizer oder Feuermann genannt, - nach den in Preußen geltenden Bestimmungen mindestens 1 ¾ Jahr – gewesen sein und dann durch eine Prüfung, welche aus einem wissenschaftlichen und einem praktischen Teile besteht, nachgewiesen, dass er die dem Führer nötigen Kenntnisse und im Fahrdienste die erforderliche Geschicklichkeit in der Behandlung der Lokomotive und Beförderung von Eisenbahnzügen sich angeeignet hat.

 

 

Der Lokomotivführer soll mit seinem Wissen die ganze Lokomotive umfassen; es kommt bei ihm weniger darauf an, in der Anfertigung der einzelnen Teile eine sehr große Geschicklichkeit zu besitzen, als darauf, den Gegenstand richtig zu behandeln und bei Schäden ihn selbst ausbessern oder doch die nötigen Angeben und beaufsichtigen zu können.

Die Einrichtung der Fahrzeuge darf dem Führer auch nicht ganz fremd sein, denn bei Vorkommnissen auf freier Strecke, wenn ein mit denselben vertrauter technischer Beamter nicht anwesend ist, wird das Fahrpersonal, und zwar mit Recht, sich zunächst an ihn als Fachmann wenden und macht es einen betrüblichen Eindruck, wenn der Lokomotivführer dann ebenso ratlos wie die übrigen Beamten des Zuges dasteht.

 

Dem tüchtigen Führer genügt es nicht, die Lokomotive, deren Behandlung und seine Dienstanweisungen zu kennen, sowie mit dem Fahrdienste und deren Verhältnissen derjenigen Bahn, welcher er eben angehört, vertraut zu sein; ihm sind auch Bahnkörper, den er täglich befährt, dessen Bau und Materialien von Wichtigkeit; es muß in ihm der Wunsch rege werden, etwas tiefer in das technische Gebiet des ganzen Eisenbahnwesens einzudringen, in Erfahrung zu bringen, aus welchen kleinen Anfängen diese wichtige Erfindung des neunzehnten Jahrhunderts sich herausgebildet hat und auf welcher Höhe sie jetzt steht; er wird ferner zu wissen wünschen, welche Männer sich um die Erfindung und Verbesserung der Lokomotive und des ganzen Eisenbahnwesens verdient gemacht haben.

 

Vorgesetzte und Untergebene

 

Der unmittelbare Vorgesetzte der Lokomotivbeamten, mögen diese im Dienste oder außer Dienst sein ist der den Lokomotivbetrieb leitende höhere Beamter.

Dieser nach jeder Richtung unmittelbare Vorgesetzte hat nicht nur die dienstliche Leitung und das ganze dienstliche Auftreten der Lokomotivbeamten zu überwachen, sondern ebenso sehr darauf zu achten, dass diese auch außer Dienst in ihrem bürgerlichen Leben einen gesetzten und geordneten Lebenswandel führen, wie dieses Beamten geziemt und dessen sich ein Lokomotivführer bei seiner wichtigen und verantwortungsvollen Stellung um so mehr befleißigen muß, will das Publikum seine dienstliche Tätigkeit kennt und eine Bahnverwaltung bei demselben das Vertrauen verlieren wird, wenn eine Beamtenklasse, die vor allen anderen am unmittelbarsten in das Eisenbahnleben mit seinen Zufälligkeiten und Gefahren eingreift, im bürgerlichen leben nicht ihren guten Ruf zu bewahren versteht.

 

In seinem Diente hat der Lokomotivführer weniger mit oben genannten Vorgesetzten zu tun als mit den ihm hier dienstlich vorgesetzten Beamten, nämlich mit den Stationsbeamten auf den Bahnhöfen und beim Bau mit den betreffenden Baubeamten.

Da diese nicht maschinentechnisch gebildete Beamte sind, so kann es vorkommen, dass von ihm etwas verlangt wird, was er nicht ausführen kann, z.B. die befördernde Achsenzahl wird für die Gattung seiner Lokomotive zu groß bemessen, oder, was nur ausführbar ist, wenn er gegen Bestimmungen der Betriebs-, Verkehrs- und Signalordnung oder gegen seine Dienstvorschrift fehlt. In einem solchen Falle hat der Führer seine Bedenken sachgemäß und in ruhiger Weise vorzubringen, und wird nur in wenigen Fällen eine Verständigung vielleicht nicht zu erzielen sein. Leider lassen sich bei solchen Gelegenheiten zuweilen Führer verleiten, nichts weniger als ruhig aufzutreten, sondern gebaren sich polternd, was durchaus dienstwidrig ist und was zu leicht den Anschein von Auflehnung und Widerspenstigkeit hervorruft, welche dann allerdings im Grunde genommen nicht vorliegen. Ein gesetzter Führer mit ruhigem Blute kommt nun in der Regel mit diesen Leuten auch aus, wenngleich diese ihre Anordnungen nicht immer in die höflichsten und bestgewählten Worte kleiden; meistens kommen nur die jungen Brausköpfe und selbst zur Grobheit geneigte Lokomotivbeamte anderen Mitarbeiten aneinander. Der Lokomotivführer schadet seinem Ansehen dadurch immer, selbst wenn er im Rechte ist.

 

 

Der untergebene des Lokomotivführers ist der Heizer. Selbstredend hat auch der Schuppenarbeiter den Anweisungen des Lokomotivführers, soweit sie sich auf die sachgemäße Behandlung der Lokomotive beziehen, nachzukommen.

Der Führer hat seine Untergebenen zu ihrer Pflicht anzuhalten und wenn sie dieser genügen, sie anständig und gerecht zu behandeln. Schimpfereien zwischen dem Führer und seinen Untergebenen sind stets dem ersteren zur Last zu legen.

Es kommt eine zu strenge Behandlung dieser Persönlichkeiten seitens der Lokomotivführer viel seltener vor als eine zu schlaffe; sehr häufig steht der Führer mit dem Heizer etc. auf viel zu freundschaftlichem Fuße, was bis zur Duzbrüderschaft geht, dass dabei die Eigenschaft als Vorgesetzter verloren geht bedarf wohl kaum der Erwähnung, ebenso wenig, dass bei einem solchen Verhältnisse zwischen dem Führer und seinen Untergebenen Ordnungswidrigkeiten der letzteren sehr selten zur Sprache kommen.

 

Einteilung der Heizer

 

Es ist nicht gleichgültig wie diese erfolgt. Damit dabei nicht Fehler gemacht werden, muß der Vorgesetzte Kenntnis von den guten und schlechten Eigenschaften und überhaupt von den Verhältnissen der Lokomotivpersonale haben.

Einem leicht erregbaren Lokomotivführer teilt man selbstverständlich nicht einen hitzköpfigen Heizer zu; dieser befindet sich am besten unter der Leitung und Anlernung bei einem ruhigen und ernsten Führer.

Schwerfällige oder sogar zur Trägheit neigende Heizer welche dann auch meist keine besondere Vorliebe für Reinlichkeit und Pünktlichkeit haben, müssen Führer mit den entgegengesetzten Eigenschaften beigegeben werden.

Wenn der eine oder andere Lokomotivführer oder Heizer in dem Verdachte stehen sollte, den Geistigen Getränken geneigt zu sein, so muß unter allen Umständen vermieden werden, dass zwei solcher Beamten dieselbe Lokomotive bedienen.

Führer und Heizer, welche in einem verwandtschaftlichen Verhältnisse zueinander stehen, lässt man besser nicht miteinander fahren; das zunächst bestehende gute Einvernehmen zwischen beiden ist erfahrungsgemäß selten von langer Dauer.

Selbstverständlich gibt man einem schwächlichen Lokomotivführer nicht einen ebensolchen Heizer zur Hilfe.